Im Oktober 2023 sind 18 Ruderinnen und Ruderer aus Deutschland und der Schweiz in China unterwegs und gehen in fünf verschiedenen Städten aufs Wasser, jeweils betreut und begleitet von chinesischen Ruderern und Ruderinnen aus den Deep Dive-Clubs. Nach dem Auftakt in Shanghai geht es in vier Städte am Kaiserkanal, Suzhou, Hangzhou, Yangzhou und Nanjing. Auch ein Abstecher zum Qiandaohu (Thousand Islands Lake) steht auf dem Programm.
Hier berichtet der langjährige China-Kenner und Ruderer Helmut Janus.
12. Oktober 2023 - Durchs Touristengewühl in der alten Wasserstadt
Die alte Wasserstadt Zhujiajiao ist eine Touristenattraktion ganz im Westen von Shanghai. Inzwischen fährt sogar eine U-Bahn dorthin. Der übliche Rundgang geht über die Fangsheng-Brücke, eine sechshundert Jahre alte Bogenbrücke über den Dianpu-Fluss, der den Ort in zwei Hälften teilt. Durch kleine mit Touristenläden vollgestopfte Gassen kommt man zu den Seitenkanälen, an deren Uferwegen sich ein Laden an den anderen reiht. Mit Holzkähnen lassen sich die Touristen auf dem Fluss oder den Seitenkanälen herumfahren. Der Ruderverein liegt nur zweihundert Meter von der Brücke entfernt. Mit unseren langen Booten mit weit ausladenden Skulls und Riemen sind die Seitenkanäle zu schmal, aber es war schon ein spektakuläres Unternehmen, unter der Brücke durchzufahren und sich an den Kähnen vorbeizuschlängeln. Danach folgen vier Kilometer freie Strecke, bis ein Wehr die Einfahrt in den Dianshan-See versperrt. Am Rand dieses Sees liegt von einem Damm abgegrenzt die Shanghaier Regattastrecke. Zhujiajiao war für uns ein Zwischenstopp auf dem Rückweg nach Shanghai. Am Abend ging es noch auf ein Ausflugsschiff auf dem Huangpu. Vom Wasser aus lässt sich die spektakuläre Beleuchtung auf beiden Seiten des Flusses besonders gut besichtigen.
11. Oktober 2023 - Höhenflüge in Nanjing
Nach einem vollgepackten Tag muss es heute einen etwas längeren Bericht geben. Um 6:30 Uhr trafen sich die hartgesottensten zehn von uns im Tingjin International Rowing Club zum frühmorgendlichen Rudern ein. Es war der reguläre Treff des Clubs, und so kamen außer uns noch fünfzehn Ruderinnen und Ruderer aus allen Altersgruppen. Wir wurden sofort herzlich empfangen. Nach einem kurzen Lauf und einem kleinen Gymnastikprogramm verteilten wir uns auf Doppelvierer, die alle gemischt mit einheimischen Ruderern und Gästen besetzt wurden. Ein Engländer, der in Nanjing lebt, kam noch hinzu, und so wurde eine Mannschaft deutsch-chinesisch-britisch besetzt. Im Morgengrauen und jetzt mit deutlich besserer Sicht auf die Skyline von Nanjing ging es auf der schönsten Ruderstrecke Chinas – so unsere Gastgeber – auf eine 4-Kilometer-Runde. Auf den letzten zwei Kilometern der dritten Runde musste natürlich noch ein Rennen gefahren werden, das die internationalen Routiniers für sich entschieden. Entgegen der üblichen Praxis der meist etwas fauleren deutschen Ruderer endete das Training mit Stretching. Nach den unvermeidlichen Gruppenfotos bekamen wir noch Vereinsabzeichen und revanchierten uns mit unseren Clubwimpeln. Es folgte ein hochinteressantes Besichtigungsprogramm. Am Purpurberg liegt das Grab des Republikgründers Sun Yatsen. Er war 1912 nach dem Ende der letzten Kaiserdynastie der erste Präsident der neuen Republik. Bei seinem Tod 1925 waren Nationalisten und Kommunisten noch verbündet, so dass er heute in der Volksrepublik und auf Taiwan gleichermaßen verehrt wird. Die riesige Grabanlage mit einem Mausoleum, das über eine lange Treppe erreicht wird, wurde 1939 fertiggestellt. Nicht weit entfernt liegt das Grab von Hongwu, dem ersten Kaiser der Ming-Dynastie, die 1368 an die Macht kam. Sein Nachfolger hat später die Hauptstadt nach Peking verlegt. In dem weitläufigen Gelände waren wir über zehn Kilometer gewandert und kamen deshalb zu spät zu unserer zweiten Rudereinheit des Tages, diesmal bei den Ting Rowers am Qinhuai-Fluss im Zentrum von Nanjing. Die Clubs in Nanjing gehören nicht zu Deep Dive, wurden aber auch erst vor sechs bzw. sieben Jahren von tatkräftigen Unternehmern gegründet. Die Beiträge liegen deutlich höher als bei deutschen Vereinen, so dass Rudern in China immer noch eine sehr elitäre Angelegenheit ist. Das ändert aber nichts an einer unglaublichen Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die uns auch hier wieder erwartete. Da es bald dunkel wurde, blieb es bei einer eher kurzen Ausfahrt in einem Achter und zwei Vierern. Entlang der Strecke hatten wir immer wieder schöne Ausblicke auf die am Fluss verlaufende Stadtmauer. Im Verein gab es Technik-Freunde, die gleich eine Flotte von Drohnen hinter uns herschickten, während am Himmel zahlreiche bunt beleuchtete Drachen schwebten. Der Höhepunkt des Tages war die Einladung des Clubs in das eigene Restaurant im Stadtzentrum, wo wir mit unseren chinesischen Mitruderern in bunter Reihe zusammensaßen. Es ist das einzige Motto-Restaurant zum Rudern in China und so ziemlich das Gegenteil eines gemütlichen Vereinsheims mit altem Holzeiner unter der Decke und Vitrinen mit verstaubten Pokalen. Am Eingang hing ein moderner Renneiner, dessen Heck abgesägt war, damit er in das vorhandene Fenster passte, dahinter ein Ergometerraum mit großen Fenstern nach draußen. Das Restaurant war modern und edel eingerichtet, die Speisekarte ganz aufs Rudern ausgerichtet. Den Anfang machte der Steuermann mit passenden Vorspeisen, dann ging es alle Plätze des Achters durch mit den Hauptgerichten und zuletzt den Desserts beim Bugmann. Wir bekamen ein erlesenes Menu mit Rinderfilet und Rotwein. Vom Dachgarten aus konnten wir noch die beleuchteten Hochhäuser von Nanjing bewundern. Es fiel schwer sich loszureißen, um am nächsten Morgen um 7:30 Uhr die Rückkreise nach Shanghai anzutreten.
10. Oktober 2023 - Große Menschen, großes Panorama
Heute sind wir in Nanjing am westlichsten Punkt unserer Reise angekommen. Das Einchecken im Hotel hat über eine Stunde gedauert, da man nicht nur wie sonst üblich unsere Pässe gescannt hat, sondern noch mit allen Seiten einschließlich Einband fotografiert hat. Danach musste dann noch ein blau uniformierter Obermeister kontrollieren, ob seine grau gekleideten Untergebenen alles korrekt erledigt hatten und ob Person und Foto tatsächlich übereinstimmen. So sind wir nach einer kurzen Mittagspause gleich zum Rudern am Xuanwu-See gegangen. Dieser liegt nördlich der alten Stadtmauer, umgeben von schönen Grünanlagen. Der erste Besuch des Autors dieser Zeilen an diesem See fand 1977 statt. Damals war eine Studentengruppe aus Deutschland eine Sensation, die von hunderten Menschen umringt wurde. Heute begrüßten uns sehr nette und freundliche jüngere Ruderinnen und Ruderer, alle deutlich größer als wir, da sie für die Nationalmannschaft ausgewählt worden waren. Das Panorama war eindrucksvoll. Im Hintergrund sah man die noch im Nebel eingehüllten Wolkenkratzer von Nanjing, die mit einsetzender Dunkelheit und angeschalteter Beleuchtung deutlich sichtbarer wurden. Mit einem Achter, einem Vierer und einem Zweier haben wir drei 5-Kilometer-Runden um den See zurückgelegt. Zum Schluss wurden wir eingeladen, morgen um 6:30 Uhr mit den chinesischen Ruderern zu trainieren. Wir sind gespannt.
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Nanjing 1977
9. Oktober 2023 - Nicht auf dem Wasser, aber am Wasser
Unsere ursprüngliche Planung sah vor, auf dem Fuchun-Fluss südlich von Hangzhou zu rudern. Dabei hatten wir nicht bedacht, dass gestern die dreiwöchigen 19. Asienspiele in Hangzhou zu Ende gegangen sind. Für die Ruder-, Kanu- und Drachenbootwettkämpfe wurde eine neue Regattastrecke im Ort Fuchun gebaut. Für Freizeitsportler war sie gesperrt. Auch der Verkehr war immer noch eingeschränkt, und es bedurfte einiger Verhandlungen, dass unser Bus in die Stadt fahren durfte. Außer den allgegenwärtigen drei Maskottchen, die einen mit großen Augen als Figuren, von Bildern und von Souvenirs anglotzen, war von den Spielen aber nicht mehr viel zu merken. So erwartete uns heute ein Tourismus-Tag. Erste Station war das Longjing Tea Village in den Hügeln südlich vom Westsee. Terrassenfelder mit akkurat geschnittenen Teebüschen und klassischer Bebauung vermittelten ein Bild der Ruhe, das nur gelegentlich durch meist ältere Damen gestört wurde, die uns in ihre Teehäuser locken wollten. Schon die chinesischen Kaiser Qianlong, Mao Zedong und Deng Xiaoping haben hier Teeblätter gepflückt. Spontan wurde beschlossen, den circa zehn Kilometer langen Weg zum Hotel im Stadtzentrum zu Fuß zurückzulegen. Über Treppen ging es hinunter zum Westssee. Parkanlagen, Pavillons und Brücken boten immer wieder neue Blicke auf den See. Auf der gegenüberliegenden Seite erreicht man die Uferpromenade vor der Hochhauskulisse der modernen Stadt. Es war schon ein harter Kontrast, durch hypermoderne Einkaufsstraßen mit beeindruckender Architektur und meterhohen Videowänden zu laufen. Hangzhou steht hier Shanghai in nichts nach. Entgegen dem Grundsatz, in diesen Berichten nichts übers Essen zu schreiben, sei noch erwähnt, dass der Abend in der Casablanca Bar bei Live-Musik und Pommes frites mit Ketchup endete. Wir waren die einzigen ausländischen Gäste. Vor dem Corona-Exodus dürfte es sich um einen der beliebtesten Treffpunkte der Expats gehandelt haben.
8. Oktober 2023 - Wie Ruderer zu ihren Booten kommen und doch manchmal fremdgehen
Erster Programmpunkt war heute die Besichtigung der Peisheng-Werft. Selbst am Sonntag wurde heute gearbeitet, da als Ausgleich für die freien Tage während der Golden Week das Wochenende zu Arbeitstagen erklärt wurde. Die Fabrik hat der Vater des heutigen Chefs im Jahr 2000 als privates Unternehmen gegründet. Es beschäftigt heute 130 Menschen. Hergestellt werden Ruderboote, Kanus, Kajaks, Drachenboote, Katamarane und Sonderanfertigungen, ein beeindruckendes Produktspektrum, das aber jedem deutschen Betriebswirt die Haare zu Berge stehen lassen würde. Keine Serienfertigung, ständig wechselnde Produkte, keine erkennbaren logistischen Abläufe, ein Alptraum für jeden Produktionsmanager. Und doch kommen am Ende hervorragende Boote dabei heraus, wie wir uns anschließend noch einmal überzeugen konnten. Mit vier Vierern, verstärkt durch Ken Lee und zwei chinesische Ruderer ging es auf eine große Runde über den See. Am Leistungszentrum gab es eine Mittagspause. Dabei konnten wir uns die Einrichtungen näher ansehen, eine riesige Sporthalle voll mit allen modernen Foltergeräten und einem gewaltigen Ventilator mit zwei Metern Durchmesser. In den Bootshallen lag feinstes Bootsmaterial aller europäischen und chinesischen Hersteller, auch zahlreiche Boote von Peisheng. Die Tour ging weiter um das nächste Dutzend Inseln herum mit herrlichen Ausblicken auf eine teils wolkenverhangene Berglandschaft. Dabei haben wir nur einen kleinen Ausschnitt des Sees gesehen. Zurück bei der Werft sind wir umgestiegen in ein Drachenboot und haben eine kleine Runde gedreht. Für die meisten von uns war es die erste derartige Erfahrung, Die Gefahr, dass jemand von uns die Sportart wechselt, dürfte gering sein.
7. Oktober 2023 -Â Das erste Dutzend von tausend Inseln und ein Blick auf die Medaillenschmiede
Heute sind wir mit dem Zug von Shanghai zum Qiandaohu (See der tausend Inseln) gefahren, einem der größten chinesischen Stauseen, südwestlich von Hangzhou in einer wunderschönen Berglandschaft gelegen. Unser lokaler Gastgeber ist diesmal keine Deep-Dive-Niederlassung, sondern die Bootswerft Peisheng. Seit einigen Jahren werden in China qualitativ hochwertige Ruderboote gebaut und auch exportiert. Wie bei vielen Produkten hat sich ein Cluster gebildet. Alle Werften liegen nah beieinander südlich von Hangzhou. Peisheng ist noch ein kleinerer Spieler und gerade dabei, mit der Marke Falcon auch den europäischen Markt zu erschließen. Uns wurden drei nagelneue Gig-Vierer zur Verfügung gestellt, die bereits nach Japan verkauft wurden und von uns „Probe gefahren“ werden sollten. Vorab sei erwähnt, dass dies ohne Bootsschäden gelungen ist. Laut Ken Lee haben wir Rudergeschichte geschrieben, da zum ersten Mal Ausländer in Gig-Booten auf dem Qiandaohu gerudert seien. Für Nicht-Ruderer: Gig-Boote sind breiter und werden in Europa allgemein von Anfängern und Breitensportlern gerudert. In China werden dagegen ausschließlich die schmaleren und wackeligeren Rennboote, auch für Anfänger, verwendet. Auf einer großen Plattform hatte Peisheng alle Arten von Booten gelagert, auch Drachenboote, Surfbretter, Katamarane und Paddelboote. Unsere Tour ging von einem Seitenarm auf den großen See und weiter zum Trainingszentrum der chinesischen Nationalmannschaft. Auch die Provinz Zhejiang hat ihr eigenes Zentrum, und so begegneten uns etliche andere Ruderinnen und Ruderer. Leider hatten wir zum ersten Mal bewölktes Wetter und Nieselregen, aber trotzdem hinterließ die Landschaft einen großartigen Eindruck. Wir haben die Inseln nicht gezählt, aber der Name des Sees dürfte keine Übertreibung sein, und wir können nur einen kleinen Ausschnitt davon sehen.
6. Oktober 2023 - Zum Abschluss ein deutsch-chinesisches Achterrennen
Deutsche Rudervereine gelten als junge Emporkömmlinge, wenn sie nicht schon ihr 100jähriges Jubiläum hinter sich haben. Heute haben wir nach einer langen Busfahrt von Yangzhou nach Shanghai das sechsjährige Jubiläum von Deep Dive Shanghai gefeiert. Breitensportrudern in Vereinen ist in China noch neu, aber es ist imponierend, was in wenigen Jahren aufgebaut wurde. Dazu muss man den Mäzen Wang Shi vorstellen, der in China so bekannt sein dürfte wie im Westen Elon Musk oder Mark Zuckerberg. Er hat den Immobilienkonzern Vanke aufgebaut, aus dem er sich 2017 zurückgezogen hat. Seither fördert er Umweltprojekte und den Sport. 2016 hat er den Bau des Bootshauses mitten im Century Park in Pudong in Auftrag gegeben. Die beeindruckende Architektur lässt sich auf vielen Bildern im Internet ansehen, wenn man „Shanghai Deep Dive“ googelt. Die Feier lief ganz anders ab als das große Theater in Yangzhou. Der Architekt stellte das Bootshaus vor. Es gab Grußworte von Deep Dive-Mitgliedern, gefolgt von kurzen Reden von Ken Lee und Wang Shi. Natürlich mussten wir auch unseren Redebeitrag leisten und übergaben anschließend unsere Vereinswimpel. Nun darf man sich einen chinesischen Ruderverein nicht so vorstellen wie einen deutschen. Die Mitglieder sind überwiegend Firmen, die ihre Mitarbeiter rudern lassen. Dadurch hat das Rudern vielmehr Event-Charakter. Angeleitet von einer Trainerin ging der sportliche Teil mit Aufwärmgymnastik los. Anschließend verteilten wir uns auf die Boote, wieder ein Achter, in dem Ken Lee mitruderte, und zwei Vierer. Später gingen noch drei chinesisch besetzte Achter aufs Wasser. Im wilden Zickzack ging es durch die Kanäle im Park und schließlich auf eine längere Gerade. Unweigerlich folgte ein 500-Meter-Rennen der Achter mit Wang Shi auf dem Schlagplatz der chinesischen Mannschaft. Das Ergebnis war recht eindeutig. Zurück im Bootshaus gab es Getränke und Kuchen und ungefähr weitere hunderttausend Gruppenfotos.
5. Oktober 2023 - Meditieren übers Trockenrudern
Die erste Nachricht des Tages war, dass wir nicht rudern durften wie geplant. An einem Wehr wurde Wasser abgelassen, und die Strömung sei zu stark. Wir sind trotzdem zum Ruderzentrum gefahren und sahen ruhiges Wasser, für das Ruderer mit Rheinerfahrung nur ein müdes Lächeln haben. Aber was hilft’s?. Die Wasserschutzpolizei hat’s verboten. So sahen wir uns erst einmal um im größten chinesischen Ruderverein: Viele Boote, ein modernes Bootshaus, eine eigene Regattastrecke, alles erst vor sechs Jahren erbaut. So mancher deutscher Verein dürfte neidisch werden. Um nicht aus der Übung zu kommen, haben wir eine Trainingseinheit auf Ruderergometern eingelegt. Im Bootshaus stieß auch Ken Lee zu uns, ein Koreaner, der in China lebt und treibende Kraft bei Deep Dive ist, der Organisation, die auf chinesischer Seite unsere Reise organisiert. Er führte uns über Mittag zum Wenfeng-Tempel, wo wir von einem Mönch empfangen wurden, der auch Ruderer ist. Es herrschte eine herrliche Ruhe, weit und breit keine Touristen. Unser Besuch begann mit einem Mittagessen, selbstverständlich vegetarisch, das wir in Reihen sitzend still genossen. Wir wurden ermahnt, jeden Bissen dreißigmal zu kauen und keine Reste zu hinterlassen. Im Kreis stehend sangen wir anschließend buddhistische Lieder und schritten in einer Gehmeditation mit einer kontemplativen Pause nach jedem Schritt durch das Tempelgelände. Zum Abschluss folgte eine Meditation im Kreis, bei der wir uns im Stillen Gedanken über uns selbst und vielleicht auch das Rudern machen konnten. Diesen Tag der Kontraste schloss ein Besuch im Museum zum Großen Kanal ab, das erst vor zwei Jahren eröffnet wurde. Das Museum ist einfach eine Wucht, aber weiteres Schwärmen würde hier zu viel Platz einnehmen. Es muss nur noch richtig gestellt werden, dass unser Titel „Wanderfahrt auf dem Kaiserkanal“ nicht ganz korrekt ist. Der Kanal ist nämlich für Sportboote gesperrt, und wir rudern auf den angrenzenden kleineren Kanäle, aber es dreht sich einfach alles um diesen Kanal, und so sei uns ein wenig Übertreibung verziehen.
4. Oktober 2023 - Auf allen Kanälen….
Am Tag vor unserer Abreise aus Deutschland kam die Anfrage, ob wir am 4. Oktober an der Eröffnungsfeier für einen neuen Park in Yangzhou teilnehmen wollten. War das eigentlich eine Frage oder eine dezente Aufforderung, die man nicht ablehnen kann? Egal, natürlich haben wir zugesagt, und so ging es heute um sieben Uhr mit dem Bus von Suzhou nach Yangzhou, um zur geplanten Eröffnungszeit um 10:18 (das muss eine gute Zahl sein) anzukommen. Dann haben wir uns doch noch um 20 Minuten verspätet, aber es wurde gewartet, und begleitet von rund zwanzig Fotografen wurden wir auf unsere mit Namensschildern versehenen Plätze geleitet. Neben den chinesischen Offiziellen musste Helmut Janus als Chinesisch Sprechender eine kurze Rede an die versammelten Gäste richten. Alles drehte sich um Kultur und Geschichte der Kanäle in und um Yangzhou. Der neue Park liegt an am Hangou, einem Teil des allerersten Kanals, der schon 486 v.Chr. erbaut wurde, um den Yangtse mit dem Huai-Fluss zu verbinden. Ein rotes Band wird heutzutage auch nicht mehr durchschnitten. Stattdessen legten die Honoratioren ihre Hände an eine gewaltige Videowand, bis nach einem Countdown  eine wahre Bilderflut unter Fanfarenklängen emporstieg. Währenddessen kreisten mehrere Drohnen um das Spektakel und knipsten die Apparate von zwei Dutzend Fotografen. Der neue „Park am Ausgangspunkt des Großen Kanals“ ist nach der Eröffnung des Kanal-Museums in Yangzhou ein weiterer Schritt zur Wiederbelebung der Kanallandschaft. Am Nachmittag folgte eine Bootsfahrt, allerdings auf einem Ausflugsboot und nicht im Ruderboot, durch die Wasserlandschaft des „Schlanken Westsees“ von Yangzhou. Dieser Namensvetter ist vielleicht nicht so bekannt wie der Westsee in Hangzhou, aber allemal eine Besichtigung wert mit einem Gewirr von Kanälen, Pavillons, Brücken, Türmen und Toren. An diesem Tag drehte sich wieder alles ums Wasser, auch wenn wir heute nicht selbst in die Boote steigen konnten.
3. Oktober 2023 - Von schönen Frauen und einem unfreiwilligen Bad
Der Tag in Suzhou begann mit einem Besuch im „Garten des bescheidenen Beamten“, einem der weltberühmten Gärten von Suzhou. Den wollten in der Feiertagswoche natürlich auch viele Chinesen besuchen, und so schob man sich dichtgedrängt an Pavillons, Lotusteichen und zierlichen Brückchen vorbei, immer noch eine sehr schöne und lohende Angelegenheit. In der Altstadt von Suzhou war es nicht weniger voll, aber es gab auch viel zu sehen, insbesondere die zahlreichen chinesischen Frauen, die sich zum Feiertag in traditionellen Kleidern wunderschön präsentierten. Von so viel Eindrücken beschwingt ging es nachmittags zum Rudern zu einem neuen Kanal im Westen von Suzhou. Auch hier empfing uns wieder ein Team unseres Gastgebers Deep Dive. Nach kurzer Einteilung der Mannschaften gingen wir mit einem Achter und zwei Vierern aufs Wasser. Hier ging es durch Wohn- und Industriegebiete und immer wieder grüne Abschnitte dazwischen. Nach 18 Kilometern und bereits einsetzender Dämmerung ging es zurück an den Steg, und da passierte das erste Missgeschick. Wir haben den Achter etwas unsanft auf den Steg gesetzt und die Bootsspitze beschädigt. Unsere Gastgeber gingen erstaunlich gelassen damit um, aber uns war das natürlich äußerst peinlich. Und dann warteten wir auf den letzten Vierer und warteten und warteten, bis sie irgendwann durchnässt und schon bei Dunkelheit zurückkamen. Sie hatten einen Bagger gerammt, waren gekentert und mussten an Land schwimmen. Dort gelang es, wieder ins Boot zu steigen. Zum Glück war den Ruderinnen und Ruderern nichts passiert, aber ein Ausleger muss ersetzt werden. Trotz dieser Missgeschicke gab es viele gemeinsame Fotos und freundliche Worte, aber wir sind dann doch ziemlich bedrückt abgereist.
2. Oktober 2023 - Golden Week und Golden Rowing
Für heute stand unsere erste Rudertour in Suzhou auf dem Programm. Mit dem Bus ging es von Shanghai trotz dichten Verkehrs wie geplant nach Suzhou, aber dann steckte unser Bus fest. Um die Touristenmassen von der Altstadt abzuschrecken, hatte die Polizei einfach eine Brücke gesperrt. So etwas kannten wir schon aus Shanghai, wo die U-Bahn-Stationen am Bund und am Yu-Garten ab 16 Uhr einfach nicht mehr angefahren wurden. Wir hatten für das Mittagessen ein Restaurant gebucht, und so kämpften wir uns die letzten zwei Kilometer zu Fuß durch die Touristenhorden in der Altstadt. Dann standen wir aber vor dem falschen Restaurant, das denselben Namen hatte, und mussten noch einmal einen Kilometer uns durch die Menschenmengen schieben. Unsere Reservierung war inzwischen verfallen, aber mit chinesischem Improvisationstalent gab es nach einer Viertelstunde doch noch zwei Tische für uns. Das alles hatte länger gedauert als geplant, und so sind wir gleich zum Ruderverein gefahren statt ins Hotel. Unsere Partnerorganisation Deep Dive hat in Suzhou ein kleines, aber schönes Bootshaus auf der Ostseite des Kanals, der um die Altstadt von Suzhou herumgeht. Nach kurzer Organisation waren wir mit einem Achter, zwei Vierern und einem Zweier auf dem Wasser, unterstützt von drei chinesischen Ruderinnen. Ungewohnt für uns und lästig war die Pflicht, Rettungswesten zu tragen. Unsere Tour ging auf die Nordseite des Kanals, wo noch Teile der Stadtmauer und einige Tore stehen. Das Highlight – und das ist wörtlich gemeint – war die Beleuchtung, die bei einbrechender Dunkelheit schlagartig anging. Die Stadtmauer, die Uferpromenade, alles wurde angestrahlt. Jetzt kann man natürlich den ökologischen Zeigefinger heben, aber imposant war es trotzdem. Nach vielen Fotos haben wir uns mit er Übergabe unserer Vereinswimpel von unseren Gastgebern verabschiedet und den Tag mit einer sehr preisgünstigen und sehr leckeren Nudelsuppe in der Nähe des Hotels beendet.
1. Oktober 2023 - Erster Tag in Shanghai: Viele Menschen und viele Eindrücke
Mittherbstfest am 29. September und gleich darauf der Nationalfeiertag am 1. Oktober. Genau dazwischen kam unsere Gruppe am 30. September in Shanghai an. Für den ersten Tag, also den Nationalfeiertag, stand ein ausgedehnter Stadtbummel durch Shanghai auf dem Programm. Wir waren auf Menschenmassen gefasst, und so kam es auch, aber am Ende war es ein rundum gelungener Tag. Nach den Touristenströmen auf der Nanjing Road stand für uns Ruderer natürlich das Gebäude des ehemaligen Shanghai Rowing Club am Suzhou Creek auf dem Programm. Es ist eines dieser hervorragend renovierten Gebäude vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Erst vor zwei Jahren wurden am Standort der ehemaligen und längst verschwundenen Bootshallen ein Stahlgerüst angebracht. Heute steht das Gebäude an einer gut gepflegten Uferpromenade am Suzhou Creek. Wer Shanghai schon länger kennt, weiß, mit wie viel Aufwand aus einer stinkenden Kloake ein reizvoller Fluss mit Uferpromenade wurde. Erst vor zwei Wochen fand hier eine große, international besetzte Ruderregatta statt. Weiter ging es zu den üblichen Touristenzielen, der Uferpromade am Bund und zur chinesischen Altstadt. Auffallend war, wie wenige Ausländer zurzeit noch in Shanghai sind. Wir waren die einzige größere Touristengruppe weit und breit. Zum Abschluss mussten wir natürlich Shanghai von oben sehen. Lange Schlangen an den Ausflugsterrassen ließen uns schon fast verzweifeln. Dann ging es aber zur höchsten Bar der Welt im 87. Stock des Jinmao-Towers, und siehe da, wir waren die einzigen Gäste. So konnten wir entspannt und mit einem Cocktail in der Hand den fantastischen Ausblick auf die beleuchteten Hochhäuser in Pudong und die alten Kolonialgebäude auf der anderen Seite des Flusses genießen. Morgen geht es weiter nach Suzhou, wo wir dann zum ersten Mal im Ruderboot sitzen werden.
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Shanghai Rowing Club
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